Bewegendes Konzert „Gegen das Vergessen"

Blumiger Dank an das Ensemble der Musikschule für einen bewegenden Abend
Blumiger Dank an das Ensemble der Musikschule für einen bewegenden Abend

30.8.2021 | Nachdem der Kultur-Verein in den letzten Wochen dafür gesorgt hatte, dass das „Lachen nach Corona" nach Quickborn zurückkam, setzte der Trägerverein Henri-Goldsteinhaus am Sonnabend einen nachdenklich stimmenden Kontrapunkt: Mit dem Konzert „Gegen das Vergessen" erinnerte er gemeinsam mit der Musikschule an jüdische Komponisten und ihre Schicksale  in den Jahren 1933 bis 1945.

 

Olaf Nuckel, Vorsitzender des Vereins, konnte unter den gut 150 Gästen  die Landtagsabgeordnete Beate Raudies (SPD), den Kreispräsidenten Helmuth Ahrens (CDU), die stellv. Kreispräsidentin Elke Schreiber (SPD) sowie Quickborns Bürgervorsteher Henning Meyn (CDU) und Bürgermeister Thomas Köppl begrüßen. Er erinnerte daran, dass der Verein traditionell zum 9. November, dem Tag der Reichsprogromnacht, zu einer Veranstaltung einlade. Coronona-bedingt sei der Zeitplan durcheinander geraten, so dass das Konzert des letzten Jahres jetzt stattfinde.

 

Konzipiert wurde das Konzert von der Musikschule Quickborn und ein Ensemble aus Lehrkräften und Freunden der Schule gestaltete es dann auch: Katharina Wulf (Violine) / Galina Roreck (Violine) / Ahlke Raithel (Viola) / Andreas Hamborg (Violoncello) / Sabine Koth (Klarinette, Saxophon) / Ralf Lentschat (Trompete) / Anna Milewska (Klavier / Alexandra Bodenstab (Gesang). Die Leitung lag beim Musikschul-Chef Lorenz Jensen, der auch die Texte über die Schicksale der jüdischen Komponisten vortrug.

 

Als erstes war ein Klezmer-Stück von Abe Schwartz zu hören. Der gebürtige Rumäne wanderte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in die USA aus und machte als einer der ersten mit seinem Orchester den Klezmer in Amerika populär. In Westdeutschland wurde die jüdische Volksmusik erst in den siebziger Jahren entdeckt. Im Deutschland der zwanziger Jahre war eine ganz andere Art Musik jüdischer Komponisten erfolgreich. Da trifft man auf Namen wie Kurt Weill, Friedrich Holländer, die Comedian Harmonists, aber auch Arnold Schönberg, Gustav Mahler, Bruon Walter. Für die Hälfte der Operettenproduktionen in der Weimarer Republik waren jüdische Komponisten und Librettisten wie Paul Abraham, Leon Jessel, Emrich Kálmán, Fritz Löhner-Beda oder Ralph Benatzky.

 

Beim Quickborner Konzert standen allerdings andere Künstler im Mittelpunkt. Beim Blick auf die einzelnen Biografien wurde der verbrecherische, mörderische, völlig absurde und konsequent unmenschliche Charakter des Antisemitismus deutlich, wie er im Dritten Reich Staatsdoktrin war, so Lorenz.

 

Der 1871 in Stettin geborene Leon Jessel, der durch die Operette „Schwarzwaldmädel" populär wurde, war bereits 1894 zum christlichen Glauben übergetreten und stand auch den deutschnationalen Ansichten wohlwollend gegenüber. Aufgrund eines verräterischen Briefes wurde er dennoch Ende 1941 verhaftet und schwer misshandelt, so dass er im Januar 1942 starb. Von ihm stand „Parade der Holzsoldaten" auf dem Programm.

 

Von Leone Sinigaglia brachten die Streicher das „Scherzo op.8" zu Gehör. 1868 in Turin geboren lebte er von 1894  bis 1901 in Wien. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Italien wurde er 1944 in Turin verhaftet und sollte nach Ausschwitz deportiert werden. Er starb während des Transportes an einem Schlaganfall.

 

James Simon wurde 1880 in Berlin geboren und wurde als Pianist, Komponist und Musikwissenschaftler bekannt. 1933 floh Simon nach Zürich, nach kurzem Besuch in Tel Aviv und Jerusalem zog er nach Amsterdam. 1944 wurde er dort von den Deutschen verhaftet und 1944 in Ausschwitz ermordet. Von ihm standen „Idylle" für Klavier und das „Lamento" für Cello und Klavier auf dem Programm.

 

Der 1894 in Prag geborene Erwin Schulhoff wuchs als Wunderkind auf: Bereits mit 10 Jahren begann er sein Klavierstudium, als 14-jähriger wurde er in die Kompositionsklasse vom Max Reger aufgenommen. Er ließ sich von verschiedenen Musikgenres inspirieren, wie auch beim Quickborner Konzert deutlich wurde: Das Streichquartett spielte „Serenata und Tango Milonga aus den 5 Stücken für Streichquartett".  Darüber hinaus brachten die Solisten „Susi, Foxtrott für Altsaxophon und Klavier" zu Gehör, ein seiner letzten Kompositionen. Nach der Machtergreifung arbeitete er bei tschechischen Rundfunk, doch auch hier gab es kein Entkommen: Er starb 1942 in einem bayerischen Internierungslager.

 

Zum Höhepunkt des Abends wurde der Vortrag zu Ilse Weber, die 1903 im österreichisch-ungarischen Kaiserreich geboren wurde. Bereits im Alter von 14 Jahren schrieb sie eigene Gedichte, Lieder und Geschichten. Nach der Annektion des Sudetenlandes 1938 floh sie mit ihrer Familie nach Prag, das allerdings schon ein Jahr später von den Deutschen besetzt wurde. 1942 wurde sie mit ihrer Familie nach Theresienstadt deportiert. Bewegend das Lied „Ich wandre durch Theresienstadt", das Alexandra Bodenstab, am Klavier begleitet von Anna Milewska, in berührender Weise vortrug (Text siehe unten). Das wird mancher Besucher mit einem Kloß im Hals verfolgt haben. Darüber hinaus sang Bodenstab das „Wiegenlied". Weber hatte im KZ eine Kinderkrankenstube errichtet und Kinder gepflegt. Im Oktober 1944 wurde Ilse Weber mit ihrem Sohn Thommy und den Kindern in den Gaskammern von Ausschwitz ermordet. Wie Augenzeugen berichten, stimmte sie Lieder wie das Vorgetragene an, um den Kindern die Angst zu nehmen.

 

Auch Viktor Ullmann, 1898 in Teschen geborgen, war seit 1942 Gefangener in Theresienstadt, wo er über 20 Werke komponierte, darunter die Oper „Der Kaiser von Atlantis", in der es bildhaft um Hitler und den Weltkrieg ging. Das Manuskript blieb erhalten, Ullmann selbst starb 1944 in  Ausschwitz. In Quickborn wurde der „Totentanz" aus der Oper dargeboten.

 

Wladyslaw Szpilman wurde durch den Film „Der Pianist" bekannt, der das wundersame Überleben nacherzählt. Der Pianist entging dem Abtransport ins Vernichtungslager durch eine spektakuläre Flucht und durch die Unterstützung des Wehrmachtsoffiziers Wilm Hosenfeld. Er starb erst im Jahre 2000. Anna Milewski interpretierte am Klavier eindrucksvoll seine „Suite nach eigenen Kinderliedern".

 

Den Abschluss bildete ein „Lied aus der Kinderoper 'Brundibär'" von Hans Krása, das noch einmal vom gesamten Ensemble dargeboten wurde. 1938 hatte er die Oper verfasst, ein hoffnungsvolles Werk über den Sieg  des Guten über das Böse. 1942 wurde er aus seiner Heimatstadt Pragnach Theresienstadt deportiert. In einer bearbeiteten Fassung erlebt das Werk dort 55 Aufführungen, überliefert auch durch einen Propaganda-Film, der anlässlich der Inspektion durch ein Komitee des Internationalen Roten Kreuzes gedreht wurde. Das Täuschungsmanöver gipfelte darin, dass Goebbels  sich den Schlusschor der Oper vorsingen ließ, als die Delegantion nach Theresienstadt kam. Musik, von Massenmördern missbraucht. Krása und viele Mitwirkende wurden 1944 ermordet.

 

An diesem Abend dürften viele Besucher besonders nachdenklich den Artur-Grenz-Saal verlassen haben. Und dem Verein Goldstein-Haus sowie der Musikschule gebührt ein besonder Dank, ein düsteres Kapitel der deutschen, unserer Geschichte aufgearbeitet und auf eine eindrucksvolle Weise lebendig gemacht zu haben.

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GEGEN DAS VERGESSEN - Der komplette Moderations-Text
Die Biografien jüdischer Komponisten und ihre Schicksale während des Dritten Reiches
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Ich wandre durch Theresienstadt

 

Ich wandre durch Theresienstadt,
das Herz so schwer wie Blei.
Bis jäh meine Weg ein Ende hat,
dort knapp an der Bastei.
 
Dort bleib ich auf der Brücke stehn
und schau ins Tal hinaus:
ich möcht so gerne weiter gehn,
ich möcht so gern nach Haus!
 
Nach Haus! -- du wunderbares Wort,
du machst das Herz mir schwer.
Man nahm mir mein Zuhause fort,
nun hab ich keines mehr.
 
Ich wende mich betrübt und matt,
so schwer wird mir dabei:
Theresienstadt, Theresienstadt,
wann wohl das Leid ein Ende hat,
wann sind wir wieder frei?

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