Ein Quickborner Märchen

GUDELIUS: Augenblick mal!

 

Hier schreibt der Quickborner Autor Peter Gudelius einmal in der Woche zu Themen der Stadt, des Landes und der Welt. Was sich kritisch liest, mal mehr, mal weniger zugespitzt, will als Anregung verstanden sein und zum Nachdenken verführen. Die Äußerungen des Autors stellen nicht die Meinung des Herausgebers/der Redaktion dar.

Weitere Beiträge des Autors finden Sie in seinem Blog „Sprach-los".

 

Wie alle Märchen ist auch dieses Märchen wahr. Wer es nicht glaubt, wird es am Ende der Geschichte erfahren. Es heißt: Eine Insel der Unseligen.

 

Es war einmal eine kleine Verkehrsinsel. Sie lag vor einer Ampelkreuzung und hatte zwei Aufgaben. Sie sollte den Autoverkehr etwas beruhigen und zugleich die Autofahrer bei der Einfahrt in die Stadt freundlich begrüßen.

 

Das mit der Verkehrsberuhigung funktionierte ganz gut, und die Freundlichkeit wurde von der „Öffentlichen Hand“ jedes Jahr mit Wegwerfstiefmütterchen hergestellt. Das war besser als nichts, aber auch ein bisschen rausgeworfenes Geld. Einfallslos war es auch.

 

Das gefiel einer Bürgerin der Stadt nicht, und sie kaperte die Insel – mit Billigung der Stadt. Zunächst einmal bearbeitete sie die Erde und reicherte sie mit viel selbst hergerichtetem Kompost an. Schließlich sollten die Pflanzen, an die die Bürgerin dachte, nicht in einem Armenhaus ausgelaugter Erde landen. Dann suchte sie mit Sorgfalt aus, was auf dieser Insel wachsen, grünen und bunt blühen sollte – dauerhaft. Keine Wegwerfblumen also, sondern Dauerhaftes, das aus eigener Kraft

Jahr für Jahr wiederkommt.

 

Da die Insel eher im Schatten lag, war sie für Sonnenkinder nicht besonders geeignet. Deshalb siedelte die Bürgerin Stauden aus ihrem Garten an, die einen schattigen Standort lieben. Und weil sie ihren Garten nicht ganz und gar ausplündern wollte, kaufte sie dies und jenes noch dazu. Es dauerte gar nicht so lange, da war die Verkehrsinsel eine kleine Augenweide – das ganze Jahr über. Und eine Insektenweide war sie auch.

 

Was ein bisschen wie ein Märchen klingt, ist Wirklichkeit. Die Insel gibt es heute noch, und sie grünt und blüht sozusagen mit sich selbst um die Wette. So ganz von allein schaffen es die tüchtigen Pflanzen natürlich nicht. Sie stellen schon ihre Ansprüche, wollen gehegt und gepflegt werden. Die Bürgerin, nicht mehr die jüngste inzwischen, hat recht viel Arbeit damit. Sie verrichtet sie gern: Erde lockern und alles, was sonst so im Laufe eines Jahres zu tun ist, Gärtnerinnenarbeit eben. Beide Hände haben viel zu tun, und manchmal tut der Rücken weh. Aber das ist nicht das Problem.

 

Das Problem sind die Schnapsfläschchen, die Zigarettenkippen, die Pappbecher und Milchtüten, die ein kleines Paradies zur Insel der Unseligen machen. Kurzer Aufenthalt vor der Ampel? Fenster auf und alles raus aus dem Auto! Rein in die Blumeninsel. Tagtägliche Rücksichtslosigkeit. Moderne Müllentsorgung.

 

Und dann noch dies: Bei der Pflege und Müllbeseitigung trägt die ehrenamtliche Gärtnerin eine Warnweste, seinerzeit von einem Bauhofmitarbeiter fürsorglich sozusagen ehrenhalber verliehen. Keine übertriebene Vorsichtsmaßnahme.

Nicht wenige Autofahrer scheinen ein Vergnügen daran zu haben, so nah an der Insel vorbei zu heizen, dass die Warnweste der Gärtnerin ins Flattern kommt. Motto: Wer zuckt zuerst.

 

Und doch: Einige Autofahrer fahren ganz besonders rücksichtsvoll. Manche geben zu verstehen, dass ihnen dieses kleine Paradies gefällt. Ihnen ist die kleine Verkehrsinsel gewidmet, so lange es noch geht.


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Kommentare: 2
  • #1

    Thomas Dänecke (Freitag, 05 Mai 2017 22:03)

    Vielen herzlichen Dank für dies' kleine Paradies, vielleicht finden sich ja Nachahmer mit mit ähnlicher Hingabe und Sachverstand...

  • #2

    Peter Jäger (Samstag, 06 Mai 2017 10:52)

    Kompliment, Herr Gudelius! Wunderbar "märchenhaft" erzählt, und doch in der Realität angesiedelt. Die den Müll aus dem Auto auf das Beet werfen, werden bei ihrer Geschichte wahrscheinlich kein schlechtes Gewissen bekommen. Aber alle anderen Bürger sind Ihnen auf jeden Fall dankbar, dass Sie unseren Blick auf diese liebevoll gepflegte Insel gelenkt haben.
    Peter Jäger

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