„80 Jahre Frieden - welch ein Geschenk!"

Anna Milewska (Klavier), Johanna Jensen (Gesang) und Andreas Hamborg (Violoncello) sorgten für den musikalischen Rahmen
Anna Milewska (Klavier), Johanna Jensen (Gesang) und Andreas Hamborg (Violoncello) sorgten für den musikalischen Rahmen

5.5.2025 | Rund 100 Besucher waren am 4. Mai der Einladung des Vereins Henri-Goldstein-Haus in den Artur-Grenz-Saal gefolgt und gedachten des Endes des 2. Weltkrieges in Quickborn. Bürgermeister Thomas Beckmann rief dazu auf, den Frieden zu bewahren, Professor Dr. Karl Heinrich Pohl erinnerte an die Bedeutung der Nationalsozialisten in Schleswig-Holstein und Dr. Karsten Wilke berichtete über Ergebnisse seiner Recherchen zur Geschichte der Kriegsgefangenen im Himmelmoor. Ein Ensemble der Musikschule sorgte für den musikalischen Rahmen.

Neben Bürgermeister Beckmann (FDP) vertrat die Bürgervorsteherin und stellv. Landtagspräsidentin Annabell Krämer (FDP) Stadt. Jens-Olaf Nuckel konnte als Vorsitzender des Vereins Henri-Goldstein-Haus auch die stellvertretende Landtagspräsidentin Beate Raudies (SPD) und die stellv. Kreispräsidentin Elke Schreiber (SPD) begüßen. Aus der Ortspolitik waren Henning Meyn (CDU), Dirk Rust und Christian Bergmann (beide SPD) sowie Anke Thomsen, Sabine Schaefer-Maniezke und Pamela Masou (alles Grüne) anwesend. Der Förderverein Himmelmoor war durch seinen Vorsitzenden Ingo Konau vertreten, anwesend war auch Thomas Perschel vom Verein Waagehaus, für de Torfbahn AG waren Dan Zelck und seine Frau Franzi dabei. Nuckel dankte den Vereinen für die gute Zusammenarbeit.

Jens-Olaf Nuckel begrüßte im Namen des Vereins Henri-Goldstein-Haus die Gäste zu der Gedenkveranstaltung, die am 4. Mai stattfand, weil der Krieg in Quickborn schon an diesem Tag zu Ende war. Er erinnerte an eine Umfrage der Zeitung „Die Zeit“, nach der mehr als 50 % der Deutschen von dieser Vergangenheit nichts mehr hören wollen. „Es ist genug“, würden viele sagen und hätten die Vergangenheit nicht verarbeitet.

 

„Wir werden dieser Umfrage NICHT folgen, denn dies fordert ja dazu auf, dass wir unsere Arbeit einstellen.

 Wir werden uns weder von Umfragen noch von irgendeinem Mob einschüchtern lassen!

 

Ich verspreche Ihnen, dass es uns auch noch viele Jahre geben wird, denn gerade in heutiger Zeit, in der eine Partei als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft in unsere Parlamente eingezogen ist, sind wir WICHTIGER DEN JE!" betonte Nuckel.

Mit dem Satz „80 Jahre Frieden - was für ein Geschenk!" eröffnete Bürgermeister Beckmann seine Rede.

 

1945 habe Deutschland am Boden gelegen, gleichzeitig sei der 8. Mai der Anfang eines neuen Kapitels für Europa und die Welt. Das Ende des Zweiten Weltkrieges habe zu einem neuen europäischen Friedensverständnis und zur Schaffung internationaler Institutionen geführt, die sich der Vermeidung von Konflikten und dem Schutz der Menschenrechten verschrieben hätten. Die Gründung der Vereinten Nationen, die Entwicklung der Europäischen Union und die Bemühungen um Abrüstung und Diplomatie hätten zu 80 Jahren Frieden geführt.

 

Frieden sei nie selbstverständlich. Er trete ein, wenn Menschen übereinstimmten, Gewalt zu beenden, Kompromisse zu schließen und aufgrund von Gesprächen den Rahmen für ein friedliches Miteinander zu finden. Frieden zu bewahren sei nicht selbstverständlich. Dies bedeute die kontinuierliche Bereitschaft, Lösungen finden zu wollen, die allen Beteiligten gerecht werden. Dies sei eine Daueraufgabe für jeden, denn Frieden gehe uns alle an und beginne inividuell im Kleinen.

 

Unsere heutige Gesellschaft lebe von Akzetanz, Pluralismus, Individualität und Toleranz. Er sei sehr stolz darauf, dass wir in Deutschland eine offene differenzierte Erinnerungskultur hätten. Man spreche über die Vergangenheit, ohne persönlich schuld an den Geschehnissen von damals zu sein. Aber man würde sich damit auseinandersetzen, um zu verhindern, dass sich die Geschichte wiederhole.

 

Wir seien die letzte Generation, die noch mit Zeitzeugen sprechen könne. Es sei unsere Aufgabe, diese Erinnerungen zu bewahren und weiterzugeben, damit künftige Geneationen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholten. Genau aus diesem Grunde sei das Henri-Goldstei-Haus zu einer Gedenkstätte geworden.

Prof. Dr. Heinrich Pohl erinnerte in seinem Vortrag an die historische Zäsur in der deutschen Geschichte, mit der uns die Demokratie geschenkt worden sei. Wir selber hätten es eigentlich nie geschafft, sie selbst zu erringen. In diesem Zuammenhang warf er einen besonders kritischen Blick auf Schleswig-Holstein. Von Dankbarkeit für das Geschenk war 1945 bei den meisten Schleswig-Holsteinern nicht die Rede. Die meisten sprachen nicht von„Befreiung", sondern von „Niederlage".

 

Diese Einstellung hatte durchaus eine Geschichte: Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, hätten sich bei den Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932, also ein halbes Jahr vor der Machtübernahme, bereits mehr als 50 Prozent der hiesigen Bevölkerung für die NSDAP entschieden.

 

Nach dem Kriege habe sich Schleswig-Holstein durch Nichtanerkennen der NS-Verbrechen hervorgetan: Nazis? Doch nicht bei uns! Wegen dieser Verleugnung habe sich bald ein Netzwerk alter Nationalsozialisten heausgebildet, das Landesministerien, Parlament, Landespolizei, Staatskanzlei und vor allem Justiz umfasste.

So sei etwa im Landeskabinett 1950 nur ein einziges Mitglied kein Mitglied der NSDAP gewesen. Und in der Justiz seien 1947 70 bis 80 Prozent aller Richterstellen mit ehemaligen NSDAP--Mitgliedern besetzet gewesen und diese seien mit der juristischen Aufarbeitung der NS-Zeit beschäftigt gewesen.

 

Inzwischen habe sich vieles verändert und dies sei in vielem der Arbeit der Gedenkstätten zu verdanken. Dabei müssten die Gedenkstätten heute nicht mehr nur die von der Demokratie überzeugten Besucher überzeugen und moralisch bestärken, sondern man müsse diejenien gewinnen, die deren Wert nicht mehr zu schätzen wüssten. Das scheinen nach seiner Einschätzung immer mehr zu werden. Gerade wegen der neuen Gefahren für das demokratische Gemeinwesen seien neue historische und didaktische Ansätze in der Gedenkstättenarbeit wie im Himmelmor von besonderer Wichtigkeit.

Unterstützt durch eine Dia-Präsentation berichtete Dr. Karsten Wilke ausführlich über seine Recherchen zur Geschichte des Himmelmoores und zur Arbeit sowetischer und jüdischer Krieggefangener im Moor. Die Arbeit soll in Kürze in Form eines Buches veröffentlicht werden.

Im Anschluss an seinen Vortrag beantwortete Dr. Wilke Fragen des Publikums. Er rief die Besucher auf, auf den Dachböden zu stöbern und Fotos und Dokumente für die Geschichtsschreibrung zur Verfügung zu stellen.
Im Anschluss an seinen Vortrag beantwortete Dr. Wilke Fragen des Publikums. Er rief die Besucher auf, auf den Dachböden zu stöbern und Fotos und Dokumente für die Geschichtsschreibrung zur Verfügung zu stellen.

Lorenz Jensen, Leiter der Musikschule Quickborn, führte durch den musikalischen Teil der Gedenkstunde, der von einem Ensemble der Musikschule gestaltet wurde. Zur Aufführung kamen drei Stück jüdischer Autoren.

 

Zum Auftakt war das „Lamento" für Cello und Klvier von James Simon zu hören, das er 1938 für seine Schwester Bertha kompnierte. Er wurde 1880 in Berlin geboren und stammt aus einer liberalen jüdischen Familie. Er lehrte am Berliner Konservatorium. 1933 floh Simon nach Zürich. Nach einem kurzen Besuch in Tel Aviv und Jerusalem im Jahre 1938 zog er nach Amsterdam. Nach dem Einmarsch der Deutschen wurde er verhaftet und schließlich 1944 in Ausschwitz ermordet.

 

Als zweites präsentierte das Ensemble die „Elegie" des polnischen Dichters Krzysztof Kamil Baczynski in einer Vertonung von Stefan Milewski, dem Vater der in Quickborn bekannten Pianistin. Der Autor wurde im August1944 von einem deutschen Scharfschützen im Alter von nur 23 Jahren getötet. Die „Elegie" ist mehr als ein Trauergedicht, sie ist eine tiefgreifende Reflexion übe den Tod, den Krieg und das Menschsein in Zeiten extremer Not und damit ein kollektives Lamento für eine ganze Generation, die im Krieg unterging.

 

Zum Abschluss folgte eine Meditation mit dem Titel „Friede - Befreiung - Mai 1945". Eingebettet in eine ruhig fließende Melodik erklang der jüdische Gesang zum Versöhnungstag „Kol Nidrei" sowie der Choral „Verleih uns Frieden". Die Komposition stammt von Lorenz Jensen selbst und „ist sein Beitrag zu der Gedenkveranstaltung."

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Markus Schaefer (Dienstag, 06 Mai 2025 06:09)

    Wichtige gesellschaftliche Arbeit, sich immer wieder gegen das Vergessen einzusetzen und fachliche Informationen zu bieten. Nur: wie bringt man in Zeiten gezielter Desinformation diese Bildung, dieses Bewusstsein in Kreise außerhalb des Bildungsbürgertums? Da kann ich nur bitten, aus der längeren Veranstaltung knackige 2-Minuten-Video-Formate zu machen, die Menschen mit kurzer Aufmerksamkeitsdauer informiert. Sonst gehen diese wichtige Informationen verloren im Sumpf von Nebensächlichkeit und Absurdität.
    Danke an Oli aus Bernau bei Berlin, wo die Spuren von Zwangsarbeitern aus Sachsenhausen vielleicht dauerhaft verwischt sind. Dennoch wird das Heeresbekleidungsamt (selbstvergessen) zu zwei Stadtteilen mit 2.800 Wohnungen umgebaut. Keine einzige Straße trägt den Namen nur eines der damaliger Opfer.

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